Gibt es überhaupt noch neue Motive?

So sieht die Natur in Wirklichkeit aus.
Mal ehrlich: Hätten Sie den vertrockneten Ast vor den Pilzen liegengelassen?
Mit Ast ist es Wahrheit, ein Naturdokument.
Ohne Ast ist es ein arrangiertes Foto, unter Zuhilfenahme
von natürlichen Produkten.
Mit Ast ist es gute Butter, ohne Ast ist es naturfotografische Margarine.
Mit Ast ist es puristisch,
ohne Ast ist es besser verkäuflich...

Canon EOS-1 V, 4.0/70-200 mm, Canon Nahlinse 500 D, Blende 11, Zeitautomatik,
0.7 Blenden überbelichtet, Spiegelvorauslösung, Kabelauslöser, Sucherokular geschlossen,
Gitzo Carbonstativ G-1349 mit Kirk Kugelkopf BH-2, Kodak Ektachrome-100 VS, Oktober 2000.
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Manchmal überlege ich, ob es für die jungen Naturfotografen, die jetzt oder in der Zukunft anfangen, überhaupt noch etwas zu fotografieren gibt.

Hunderte Profis durchstreifen ganzjährig die Welt - von den Schneeaffen in Japan zu den Kaiserpinguinen in der Antarktis und den Moschusochsen in Kanada.

Tausende von Semiprofis machen mehrere Monate im Jahr das Gleiche, und zehntausende, oder sogar hunderttausende von Amateuren nutzen ihre sechs Wochen Jahresurlaub, um die fernsten Winkel der Welt aufzusuchen. Die restlichen fast einhundert Samstage und Sonntage dann, um die Natur der jeweiligen Heimat im Umkreis von 100 km auf den Film zu bannen.

Bleibt da überhaupt noch etwas zu tun, oder ist alles schon verewigt worden?

Es gibt noch eine Lücke - eine grandiose: Naturdokumente.

Alleine in Europa gibt es etwa - als Beispiel - unzählige Pilzarten, und davon praktisch überhaupt noch keine Naturaufnahmen.

Es gibt drei Möglichkeiten, Pilze (und andere Motive) zu fotografieren:

1: Man stellt sich auf den Standpunkt: Ich bin ein Künstler mit der Kamera, und für mich ist die Natur nur Rohmaterial, das ich nach Belieben formen, verändern und manipulieren kann, bis das Ergebnis meinen Vorstellungen entspricht.

2: Man sagt sich: Die Natur ist ja ganz nett, aber lange nicht so schön und überzeugend wie sie sein sollte und könnte, wenn sie sich etwas mehr Mühe geben würde. Also helfe ich nach, in dem ich Zweige und Blätter entferne, den Hintergrund verbessere und alles etwas gefälliger arrangiere. Damit bediene ich die Erwartungshaltung der Betrachter und habe auch größere Chancen zu veröffentlichen, weil diese arrangierten Bilder besser aussehen und lieber genommen werden, als echte Naturaufnahmen.

3: Man stellt sich auf den Standpunkt: Ich bin Naturfotograf, und fotografiere die Natur so wie sie ist. Ich mache Naturdokumente - . Und siehe da!!!!! - plötzlich sind Sie (fast) ganz alleine und haben ein riesiges, unbeackertes Feld vor sich. Ist das nicht herrlich!!!

Sie können alle Pilze Europas fotografieren, Sie sind der Erste, Sie haben keine Konkurrenz und Ihre Bilder sind einmalig.

Ich auf jeden Fall habe bisher noch kein einziges Bild irgendwo veröffentlicht gesehen von einem Pilz, das ein Naturdokument war (etwas übertrieben).

Allen Bildern kann man mehr oder weniger ansehen, das der Vordergrund gereinigt und der Hintergrund gesäubert wurde und vielleicht sogar - waldgestaltungsgärtnerisch- auch noch einiges umgepflanzt wurde.

Die Zeitschrift NATURFOTO brachte neulich ein 'herrliches' Portfolio mit Pilzfotos, zu denen der Bildautor schrieb, daß er die Pilze immer mit Watte polierte, bevor er seine Fotos macht, damit sie schön glänzen und auf den Fotos besser aussehen. Ist das nicht fantastisch...

Sie sehen also: Wenn man sich sagt: für mich sind nur Naturdokumente Naturfotos, und alles andere ist Substitut-Naturfotografie, dann öffnen sich vor Ihnen Tausende neue, und noch nie vorher fotografierte Motive. Vor Ihnen liegt ein naturfotografisches Paradies, in dem sie - zur Zeit - noch fast alleine sind.

Ein schönes Beispiel wie es
heute geht, war eben in der Nr.
41/2000 der Zeitschrift HÖR ZU
zu sehen, mit dem Programm
vom 14.-20.Oktober 2000.

Auf der Titelseite ein großer Braunbär als Aufmacher für einen Artikel im Heft über die Abenteuer der Tierfilmer, die ihren Beruf in der freien Wildbahn so sehr lieben, aber manchmal zu kleinen Tricks greifen müssen.

Das auch HÖR ZU zu kleinen Tricks greift, wurde nicht erwähnt. Denn der imposante Grizzly auf der Titelseite war kein Bär in der Wildnis, wie man den Lesern suggerierte, sondern ein dressierter Zirkusbär, der auf das Kommando seines Trainers hin Männchen macht und furchterregend blickt. Das macht er für jeden Fotografen, der bereit ist an den Trainer 500 $ die Stunde zu zahlen. Er heißt übrigends Cocoa (der Bär, nicht der Trainer).

Mit dem eigentlichen Thema 'Die Jagd auf das beste Bild', hat so eine gestellte Aufnahme natürlich überhaupt nichts zu tun, denn einen zahmen Bären zu fotografieren ist ja genau das extreme Gegenteil der Jagd auf ein Bild, und eigentlich ist es eine richtig schöne Perversion, über Kameraleute der Wildnis mit dem gestellten Bild eines Zirkusbären zu beginnen, und so die Leser richtiggehend auf den Arm zu nehmen.

Besonders lustig ist dabei, daß dieses Bild an HÖR ZU durch eine Agentur verkauft wurde, die sich WILDLIFE nennt. 'Kaufen Sie für Ihre Veröffentlichungen Dias von dressierten Zirkusbären bei der Spezialagentur WILDLIFE'.

Und wenn jetzt noch einer sagt, wir Deutschen hätten keinen Humor, dann hört aber der Spaß auf...

 


Etikett für den Diarahmen:

Perlpilz, -Amanita rubescens-
-The Blusher- / Oktober, Siebensteinfelsen,
NP-Bayerischer Wald, Deutschland
Original-Photo & © 2000: FRITZ PÖLKING
Ein Naturdokument - nicht arrangiert oder manipuliert

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