Ein eigenes
Haus. Oder 'ne Weltreise. Vielleicht dieses schöne
Cabriolet aus dem Hochglanzprospekt... Wünsche hat
jeder. Mal größer, mal etwas kleiner.
Den von Fritz hat sonst aber niemand.
„Eine Fotogeschichte über einen Schneeleoparden, der
mit seinen Kindern spielt - das wär was", sagt der
70-Jährige. Klingt außergewöhnlich, ist aber so.
Fritz Pölking ist Deutschlands wohl bekanntester
Naturfotograf. Den Schneeleoparden? „Natürlich"
habe er den schon mal in freier Wildbahn fotografiert.
Drüben, in der Mongolei. Das können nicht viele von
sich behaupten.
Überhaupt hat er schon eine Menge
Fotos gemacht. Mehrere Millionen. Und das ist nur grob
geschätzt. Ja hat er denn sonst keine Interessen? „Ich?
Nein!", sagt's und lehnt sich breit grinsend in
sein Sofa zurück.
Knipsbilder
Bäume, Bäche, Tiere. Das sind ihm
die liebsten Motive. Menschen? ,;Oh, nur noch gegen
Geld." Und dann nicht mal besonders gerne. Früher,
auf dem Weg zum Fotografenmeister, da hat er
Hochzeitspärchen für die Ewigkeit festgehalten. Die
Diapositive gibt es immer noch. Was allerdings aus den
frisch Vermählten wurde? Das weiß er nicht. Es hat ihn
ja damals schon nicht wirklich interessiert.
Hinten in der Schrankwand stehen
unzählige Bildbände („Aber nicht von mir, ich muss
ja auch sehen, was die Kollegen so machen.") neben
noch unzähligeren Fotoeinsteckalben. „Ach, das sind
nur unsere Knipsbilder", sagen Fritz und seine
ebenfalls weithin bekannte fotografierende Gattin Gisela
unisono, „nur zur Erinnerung". Knipsbilder also.
Bei den Pölkings bedeutet das so viel wie „ohne
Stativ". Das klingt verächtlich - bedeutet aber
nur „nicht vorzeigenswert". Da gäbe es doch
bestimmt viele andere, die man sich eher anschauen
könnte, meint der Fritz. Beispielsweise die mit den
Fischadlern. Leoparden. Oder Pinguinen! Mit denen (und
vielen weiteren Motiven) hat der Grevener nämlich die
bedeutendsten Auszeichnungen der Welt gewonnen. „Wildlife
Photographer of the Year", „Naturfotograf des
Jahres", „World Press Photo" und vieles
mehr. Macht ihn so was nicht stolz? „Oh, es ist
schön, wenn so was dabei herumkommt. Aber wichtiger ist
doch dieser Lustgewinn, wenn man gerade ein tolles Motiv
vor der Linse hat", gesteht er.
Da sitzt nun also dieser Pölking mit
gekreuzten Fingern auf seinem Sofa und sinniert über
Lust und Leidenschaft. Darüber, was ihn zur Fotografie
getrieben hat und darüber, warum ihn die Fotografie
immer noch treibt. Kein nervöses Zucken im Zeigefinger,
ja nicht mal eine Kamera in Sichtweite. Hat er die Ruhe
nach 50 Dienstjahren weg? „Wenn ich in Afrika 12
Stunden auf der Lauer liegen muss, dann ist das eben so.
Aber warte ich im Restaurant mal eine halbe Stunde auf
meine Bestellung, dann steh ich auf und gehe." -
„Ja, und er würde nie mit mir in ein Modegeschäft
gehen", bekräftigt Gisela.
Eine Sache gibt es da allerdings doch,
die ihn ein kleines bisschen aus der Fassung bringt. „Wenn
Leute sagen: 'Kein Wunder, dass sie so gute Fotos
machen. Sie haben ja auch eine teure Kamera!'",
holt er aus, „dann denke ich nur: Mein Gott. Es hätte
doch wohl nie jemand zu Hemingway gesagt: 'Sie haben
aber bestimmt eine teure Schreibmaschine, oder?'
Emotionen wecken
Seine Fotos entstehen im
Kopf, nicht in der Kamera. Und die tollen Fotos gibt es
nur, weil der Fotograf draußen und zur rechten Zeit am
rechten Ort ist. Dies in Zeiten, da nahezu jeder eine
Digitalkamera besitzt, den Menschen zu verdeutlichen,
sei schwer. Deshalb lässt der 70-Jährige lieber Bilder
sprechen. Seine Bilder. „Nur wenn Fotos beim
Betrachter Emotionen wecken, sind sie gut."
Was macht einer wie der
Pölking eigentlich so in seiner „Freizeit"? Was
wohl: Abenteuerurlaub in der Antarktis. Oder der
afrikanischen Steppe. Wie es 70-Jährige halt so tun.
,;Kreuzfahrten mag ich nicht."
,Schon bald geht es
wieder los; raus in die Welt. Ich bekomme nach vier
Wochen Entzugserscheinungen und muss weg. sagt Pölking.
Dann packt er ein paar
Objektive in seinen Fotorucksack („Mit einer leichten
Ausrüstung kommen Sie besser durchs Leben!") und
natürlich auch ausreichend Speicherkarten für die
Digitalkamera. „Noch vor ein paar Jahren bin ich mit
300 Diafilmen in die Antarktis geflogen. Habe in drei
Wochen 14 000 Fotos von Pinguinen gemacht."
Knipsbilder waren übrigens nicht dabei.
95 Prozent löschen
Aber wo sind sie denn nun
- all die Fotos, die ihn zum berühmtesten
Naturfotografen des Landes machen? Im Wohzimmer hängen
gerade mal zwei. Immerhin: Eine Etage höher gibt es
eine Wand mit mehreren Landschaftsfotografien von der
Insel Foula aus der Shetland-Gruppe.. Die sind
allerdings von der Hochzeitsreise - und die liegt 39
Jahre zurück. Nein, Fritz speichert seine Fotos
allesamt im Computer.
Selbst die guten alten
Diapositive hat er gescannt und zu digitalen Daten
verarbeitet. Man muss halt mit der Zeit gehen. Apropos:
In dieser Zeit sind viele Fotos auf der Strecke
geblieben. „Tapfer sein, 95 Prozent aller Bilder
sofort löschen, Lebenszeit gewinnen", sagt er. „Ich
will das ultimative Bild. Der Rest ist
zweitklassig." Zweitklassig für einen Pölking,
wohlgemerkt. •
Ruhr-Nachrichten, 12. Juni 2006 - Marc Geschonke